Zu Tode geschütteltes Baby: Eltern wegen Mordes verurteilt

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Im Prozess um ein laut Anklage vom Vater vorsätzlich zu Tode geschütteltes Baby sind am Montagabend am Wiener Landesgericht die - nicht rechtskräftigen - Urteile gefallen.

Der 32 Jahre alte Vater wurde mit 6:2 Stimmen wegen Mordes an seiner elf Wochen alten Tochter zu 17 Jahren Haft verurteilt. Die um neun Jahre jüngere Mutter, der Mord durch Unterlassung vorgeworfen worden war, wurde von den Geschworenen sogar einstimmig im Sinne der Anklage schuldig erkannt. Sie bekam 14 Jahre Haft.

Das Schwurgericht wies den Vater zusätzlich in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein. Nach Rücksprache mit seiner Verteidigerin Christa Scheimpflug akzeptierte der 32-Jährige das Urteil und suchte um Verbüßung seiner Strafe im Maßnahmenvollzug in der Justizanstalt Mittersteig an. Der Verteidiger der Mutter, Timo Gerersdorfer, ersuchte um Bedenkzeit. Staatsanwältin Anna-Maria Wukovits gab zu beiden Urteilen keine Erklärung ab. Sie sind daher nicht rechtskräftig.

Generalprävention

Beide Angeklagte - der Vater hatte in der zweitägigen Verhandlung dreimaliges Schütteln des Babys zugegeben, aber den Tötungsvorsatz bestritten, die Mutter entgegen ihrer Darstellung vor der Polizei und der Haft- und Rechtsschutzrichterin geleugnet, die Gewalttätigkeiten ihres Partners gesehen zu haben - verfolgten die Urteilsverkündung emotionslos und blieben auch ruhig, als die vorsitzende Richterin das Strafausmaß bekannt gab. Bei einer Strafdrohung von zehn bis 20 Jahren oder lebenslang setzte es für beide trotz bisheriger Unbescholtenheit Sanktionen im oberen bzw. mittleren Bereich des Strafrahmens.

Beim Vater fielen die qualvolle Begehung, die Hilflosigkeit des Opfers sowie "die außerordentlich hohe Gewalt" erschwerend ins Gewicht, wie Richterin Nicole Baczak erläuterte: "Kinder sind nicht zu schütteln. Genau das soll diese Strafe bedeuten." In Richtung der Mutter bemerkte Baczak, die verhängte Strafe sei aus generalpräventiven Gründen nötig, um klar zu machen, "dass Mütter, wenn sie von Misshandlungen ihrer Kinder erfahren, einschreiten müssen".

Hirn hatte zu wenig Sauerstoff

"Ich hätt's nicht tun sollen", hatte der 32-Jährige zu Beginn des zweiten Verhandlungstags im Großen Schwurgerichtssaal geschluchzt, "es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht Vorwürfe mache. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht die Zeit zurückdrehen möchte. Ich hab' sie geliebt." Er habe nach der Geburt der Tochter diese drei Mal geschüttelt, weil sie weinte und er sie beruhigen habe wollen. Beim dritten Mal - am 4. Juni 2021 - sei er heftiger als die beiden vorangegangenen Male vorgegangen: "Deshalb wird's wahrscheinlich auch so rausgekommen sein, dass sie Schäden erlitten hat."

Anwalt der Mutter: "Sie hatte gar nicht die Chance, das Kind zu retten"

Laut Anklage starb das Baby am 12. Juni auf der Intensivstation eines Wiener Spitals an einer traumabedingten Sauerstoffunterversorgung des Hirns. Die Wachstumsfuge war eingerissen, die Hirnverletzungen waren irreparabel. Gerichtsmediziner Nikolaus Klupp hatte beim Prozessauftakt am vergangenen Mittwoch dazu erklärt, ein jeweils fünf bis zehn Sekunden langes, zehn bis 30-maliges Schütteln - laut Klupp ein "körperlich anstrengender" Vorgang - sei Voraussetzung für ein Schüttel-Trauma.

Die 23-jährige Mutter hatte laut nicht rechtskräftigem Urteil weggeschaut, obwohl sie das Schütteln mitbekam. Wie die Richterin in der Urteilsverkündung erklärte, wäre sie verpflichtet gewesen, "etwas zu tun" und hätte "die Kriminalpolizei, die Rettung oder das Jugendamt anrufen müssen".

Einweisung in Maßnahmenvollzug

Der Vater befand sich seit 2007 in psychiatrischer Behandlung. "Ich hab' eine Angststörung. Ich hab' öfters Panikattacken. Ich hab' eine emotionale Persönlichkeitsstörung. Borderline, was zu Selbstverletzungen führt. Des öfteren Depressionen. ADHS", zählte der 32 -Jährige den Geschworenen seine Diagnosen auf. Er nehme täglich "sehr viele Medikamente. Neun, zehn". Außerdem konsumiere er "leider Alkohol", sei spielsüchtig und habe mehrere Selbstmordversuche unternommen: "Aus Verzweiflung, wenn niemand da ist und mir hilft, verletze ich mich." Der Alkohol bewirke, dass seine grundsätzliche Ungeduld zunehme. Zum Zeitpunkt des letztmaligen Schüttelns seiner Tochter sei er alkoholisiert gewesen, räumte der Angeklagte ein.

Die Staatsanwaltschaft hatte zusätzlich die Einweisung des an sich zurechnungsfähigen Mannes in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher beantragt. Einem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Siegfried Schranz zufolge weist der 32-Jährige nämlich derart gravierende psychische Auffälligkeiten auf, dass ohne haftbegleitende therapeutische Maßnahmen neuerliche Straftaten mit schweren Folgen zu befürchten sind.

Konkret erwähnte Schranz bei seiner mündlichen Gutachtenserstattung in diesem Zusammenhang schwere Körperverletzungen. Die aus der Vielzahl seiner psychischen Auffälligkeiten - darunter eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung - resultierende "Gemengelage" mache den Angeklagten gefährlich, seine Impulskontrolle sei stark herabgesetzt, legte Schranz den Geschworenen dar. Der Mann falle in die Kategorie jener Straftäter, bei denen statistisch betrachtet mit einer Wahrscheinlichkeit von 48 Prozent mit einem Rückfall binnen zehn Jahren zu rechnen ist. Eine Therapie - der 32-Jährige steht bereits in psychiatrischer Behandlung - sei "unbedingt erforderlich, wahrscheinlich zu intensivieren", sagte Schranz. Deswegen sei im Fall einer Verurteilung die Unterbringung im Maßnahmenvollzug zu befürworten.

Mutter ist zurechnungsfähig

Zur Mutter stellte der Gerichtspsychiater fest, bei dieser sei ebenfalls Zurechnungsfähigkeit gegeben, die Voraussetzungen einer Einweisung aufgrund einer höhergradigen geistig-seelischen Abartigkeit lägen nicht vor. Die Frau liege in intellektueller Hinsicht im unteren Bereich, sei aber nicht minderbegabt: "Sie kann zwischen Recht und Unrecht unterscheiden und dementsprechend handeln." Es sei bei ihr weiters "keine verminderte Steuerungsfähigkeit" festzustellen.

Schranz berichtete außerdem, die 23-Jährige hätte ihm bei seiner Begutachtung gezeigt, wie der Vater das Baby geschüttelt habe. "Sie war durchaus in der Lage, das genau zu zeigen", hielt der Sachverständige fest.

ribbon Zusammenfassung
  • Im Prozess um ein laut Anklage vom Vater vorsätzlich zu Tode geschütteltes Baby sind am Montagabend am Wiener Landesgericht kurz vor 20.00 Uhr die Urteile gefallen.
  • Der 32 Jahre alte Vater wurde wegen Mordes an seiner elf Wochen alten Tochter zu 17 Jahren Haft verurteilt.
  • Der Vater wurde zusätzlich in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
  • Die um neun Jahre jüngere Mutter, der Mord durch Unterlassung vorgeworfen worden war, wurde von den Geschworenen einstimmig im Sinne der Anklage schuldig erkannt. Sie bekam 14 Jahre Haft.
  • er Verteidiger der Mutter, Timo Gerersdorfer, ersuchte um Bedenkzeit. Die Staatsanwältin gab zu beiden Urteilen keine Erklärung ab. Sie sind daher nicht rechtskräftig.

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