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Wieviel Toni Mattle steckt in Karl Nehammer?

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Der ÖVP-Kanzler bleibt auch nach dem verhinderten Landesfürsten-Sturz in Tirol angezählt. Dramatische Stimmverluste sind auch ihm sicher. Ob die Partei ihm noch zutraut, die Macht für die ÖVP à la Mattle zu retten, bleibt offen.

Gestern noch ein kreuzbraver Bürgermeister, der seinen "moment of fame" bei der Lawinenkatastrophe in Galtür längst hinter sich hat. Heute ein Hoffnungsträger für die auf die schiefe Bahn geratenen Schwarz-Türkisen, dass sie zwar Stimmen aber nicht die Macht abgeben müssen.

Wird Anton "Toni" Mattle zum neuen role model in der ÖVP: Gestern noch eine traurige Figur, heute ein bewunderter Lebensretter? In der Partei, die sich gerne auf ihre christlichen Wurzeln beruft, liegen zwischen Hosianna und Crucifige liegen oft nur Wochen. Im Fall von Toni Mattle schlugen die ÖVP-Reflexe in umgekehrter Reihenfolge und in einem atemberaubendem Tempo aus. Karl Nehammer geht gerade den für ÖVP-Parteiobleute üblichen Kreuzweg. Bei seiner Kür Anfang Dezember wurde er in der ÖVP als einzig möglicher Hoffnungsträger nach dem Sturz des türkisen Messias gesehen. Heute wird die sympathieheischende Ansage "Ich bin ein Lernender" freilich immer öfter als um gütige Nachsicht werbendes Eingeständnis gewertet. Und da und dort gallig bereits so dekliniert: "Ich bin ein Lehrling".

Die Hosianna-Rufe für Nehammer sind längst verklungen, in der ÖVP wird bereits für den Crucifige-Chor geübt.

Stammesritual aufgeschoben

Der Applaus für den Retter des Tiroler Landesfürsten-Throns Toni Mattle wurde so Sonntagabend am Wiener Ballhausplatz besonders wohlwollend registriert. Das schwarze Stammesritual des Obmann-Schlachtens ist aufgeschoben.

Aber reicht kurzfristige Schonung schon fürs politische Überleben? Sprich: Wieviel Anton Mattle steckt in Karl Nehammer? Traut die Partei nach der ausgebliebenen schwarzen Katastrophe der Vertreibung der ÖVP aus dem schwarzen Paradies Tirol Karl Nehammer noch zu, es dem "Helden von Galtür" gleichzutun? Und trotz dramatische Stimmverluste den Kanzler-Sessel für die ÖVP zu retten und damit den dräuenden Machtverlust zu verhindern?

Explain, never complain

Bis jetzt gab es daran immer mehr Zweifel. Karl Nehammer vermittelt nach innen und nach außen hin primär das Bild des Unverstandenen. Der Kanzler beklagt sich immer wieder im kleinen Kreis: Seiner Regierung sei mit den Anti-Teuerungspaketen und dem Aus für die Kalte Progression ein politischer Kraftakt gelungen, der seinesgleichen suche. Statt Anerkennung und Applaus ernte sie dafür nur Kritik. Der Befund mancher ÖVP-Strategen über Nehammers Führungsperformance ist nicht nur darob unter vier Augen vernichtender als viele Leitartikel: Der Kanzler erkläre ausführlich, wie kompliziert und beschwerlich die Wege sind, um zu politischen Ergebnissen zu kommen. Ein Spitzenpolitiker müsse zuvor vielmehr ausloten, was geht und dann proklamieren, was und warum er genau das will. Motto: Explain, never complain.

Nächster Halt auf dem ÖVP-Kreuzweg Nehammers ist Niederösterreich: 40 Prozent messen jene Umfrageinstitute, denen die Landes-ÖVP vertraut, der Allein-Regierungspartei derzeit zu. Johanna Mikl-Leitner ist die letzte ÖVP-Landesfürstin, die mit einer absoluten Mehrheit verwöhnt ist. Sie lässt sich bis Mitte November mit der Festlegung des Wahltermins Zeit. Niederösterreichs wählt frühestens am 29. Jänner, spätestens am 19. März. Karl Nehammer hat bis dahin eine Verschnaufpause. Er bleibt als Kanzler und Parteichef aber angezählt.

Der Newcomer Anton Mattle suchte am Tag nach den dramatischen Stimmverlusten Reformwillen zu demonstrieren: "Wir wollen Schritte der Erneuerung setzen und das Profil einer bürgerlichen Partei schärfen." Karl Nehammer hat sich bislang primär in seinem – zweifelhaft zustandegekommenen – Parteitags-Votum als neuer ÖVP-Chef von 100 Prozent gesonnt. Zwei Tage vor der Tiroler Landtagswahl hat Nehammer statt der aufmüpfigen Kurz-Jüngerin Laura Sachlehner mit Christian Stocker einen staubtrockenen niederösterreichischen Parteisoldaten zum neuen ÖVP-Generalsekretär gemacht.

Ein ÖVP-Insider meint, der Wiener Neustädter Vizebürgermeister und Nationalratsabgeordnete sei vor allem aus einem Grund die richtige Wahl: "Er ist Anwalt und kann damit auf all die Vorwürfe, die noch auf uns zukommen können, kompetent eingehen."

Josef Votzi ist Journalist und Kolumnist des Magazin "Trend": Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage" jeden Freitag neu auf trend.at

ribbon Zusammenfassung
  • Der ÖVP-Kanzler bleibt auch nach dem verhinderten Landesfürsten-Sturz in Tirol angezählt.
  • Dramatische Stimmverluste sind auch ihm sicher.
  • Ob die Partei ihm noch zutraut, die Macht für die ÖVP a la Mattle zu retten, bleibt offen.
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